Das Depressionsmonster

Mit ihm hat es angefangen – dachte ich jedenfalls. Schon vor Beginn der Pandemie ging ich ziemlich auf dem Zahnfleisch. Dann kam es zu einem akut lebensbedrohlichen Szenario im Leben einer meiner engsten Freundinnen. Eine Situation, in der wohl jeder emotional ins Straucheln gekommen wäre – nur dass ich feststellen musste, dass ich zu meinen Emotionen keinen Zugang finden konnte. Weder in der Situation selbst, noch danach. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir zwar bewusst, dass ich mit Emotionen so meine Schwierigkeiten hatte, aber ich dachte immer, ich wäre eben nicht so leicht zu beeindrucken … dass mehr passieren müsse, damit ich etwas fühle.

Hier war er nun, der Supergau. Und spätestens jetzt wurde mir endgültig klar, dass ich Hilfe brauchte. Dass ich aus dieser Situation nicht alleine herauskäme. Zum Glück ergab sich zeitnah eine Möglichkeit – gerade rechtzeitig zu Beginn meines Absturzes in die Depression.

Es war eine dunkle Zeit, ich will nicht lügen. Wer noch nie eine Depression hatte, kann sich nicht vorstellen, wie hoffnungslos und perspektivlos das Leben plötzlich wird. Welche Lügen der eigene Kopf sich 24/7 selbst erzählt. Eltern kennen wenig Schlaf. Doch maximal 2-3 Stunden pro Nacht – ohne besonderen Grund, ohne eine Aufgabe die von den eigenen Gedanken ablenkt, das ist Folter.

Mein Gemüt wurde immer zurückgezogener, immer düsterer. Irgendwann wurden meine Therapeutin und meine Psychiaterin zunehmend deutlicher, dass ich sehr bald in eine Klinik gehen sollte. Weg von den Kindern? Von meiner Familie? Wie sollte ich das den Kindern erklären?!
In dieser Situation entdeckte ich das Buch “Mamas Monster”, das sich auch in weiten teilen mit meiner Symptomatik deckte. Vor allem meine damals fünfjährige Tochter nahm das Bild des Depressionsmonsters sehr gut an. Für sie war es ab diesem Moment Realität, dass ihre Mama ein Monster jagen musste, das niemand sonst sehen oder bekämpfen konnte.

Ich wünschte, es wäre bei mir auch so reibungslos abgelaufen, wie bei der Mutter im Buch – Medikamente, Therapie und dann geht es schnell bergauf. Meine Geschichte war leider nicht so unkompliziert. In der Klinik gab sich das Team große Mühe, mir zu helfen. Wir probierten Medikamente aus, ich bekam transkranielle Magnetstimulation (darüber werde ich zu einem anderen Zeitpunkt mehr erzählen) … die Zeit hat mir gut getan, aber bis meine Depression merklich besser wurde, sollte es noch einige Zeit dauern.

Das Monster war für meine Familie dabei eine große Hilfe. Denn die Depression kann man nicht sehen, nicht herausoperieren, nicht greifen. Durch das Monster bekam sie eine Gestalt. Und meine Kinder konnten ihren Frust gegen dieses imaginäre Monster richten, konnten ihre Mama von der Krankheit trennen und wir konnten ganz offen die Depression kindgerecht thematisieren.
Es war mir wichtig, dass meine Kinder nicht auf die Idee kamen, sich selbst die Schuld daran zu geben, dass ihre Mama krank war. Dass ihre Mama in der Klinik war. Dass ihre Mama nicht so für sie da sein konnte, wie sonst.

Seit dieser Zeit bin ich Monsterdompteurin. Und meine Kinder haben unfassbar viel über psychische Erkrankungen gelernt. Ich bin sicher, dieses Wissen wird für sie im Laufe ihres Lebens sehr wertvoll sein. Ich hätte zwar lieber eine Katze als Haustier gehabt, aber gegen Monster bin ich wenigstens nicht allergisch.