Können psychisch kranke Eltern überhaupt gute Eltern sein?
Diese Frage hast du dir bestimmt auch schon gestellt. Aber mal ehrlich: Würdest du dir diese Frage auch stellen, wenn du Diabetes hättest? Oder einen gebrochenen Arm? Vermutlich eher nicht. Dabei ist der Unterschied gar nicht so groß!
Wir wären gerne perfekte Eltern.
Klar, die psychische Erkrankung kann es uns schwer machen, die Eltern zu sein, die wir sein möchten. Das gilt aber tatsächlich auch für alle ‘gesunden’ Eltern. Denn im täglichen engen Kontakt mit Kindern kochen die Emotionen hoch – egal ob psychisch krank oder nicht. Und das macht es ALLEN Eltern schwer, immer so zu reagieren, wie sie es sich wünschen würden.
Was aber gerne übersehen wird:
Als Eltern mit psychischer Erkrankung sind wir uns der Problematik immerhin bewusst. Wie viele Menschen haben Kinder UND eine psychische Erkrankung und wollen das nicht anerkennen?! Wie viele Eltern haben Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren, sind aber nicht in Therapie und finden ihr fragwürdiges Verhalten den Kindern gegenüber völlig okay?! Wie gesund ‘gesunde’ Eltern am Ende wirklich sind, hängt nicht von einer Diagnose ab. Und auch gesunde Eltern können sich schlecht verhalten und Fehler in der Erziehung machen. Denn am Ende sind wir es, die die Kinder großziehen. Und nicht die psychische Erkrankung. Denn wir sind so viel mehr, als unsere psychische Krankheit! Selbst an den Tagen, an denen es sich anfühlt, als wäre von uns nichts mehr übrig. Wir waren schon immer mehr und werden immer mehr sein, als uns unsere Erkrankung glauben machen will.
Was ändert das Bewusstsein über eine psychische Erkrankung?
Weil wir um unsere Erkrankung wissen, bemühen wir uns aktiv, unsere Familie nicht unter unserer Symptomatik leiden zu lassen. Wir gehen vielleicht in Therapie, sodass wir dort schwierige Situationen mit professioneller Hilfe analysieren und Lösungen suchen können. Wir sind in der Lage, den Kindern (und auch einem eventuellen Partner) zu erklären, warum wir uns in einer Situation so und nicht anders verhalten haben und helfen damit allen, uns zu verstehen und unser Verhalten nicht persönlich zu nehmen. Das ist nicht perfekt, aber so ist das Leben als Eltern nunmal – nicht perfekt.
Alles steht und fällt mit der Kommunikation.
Das Wichtigste in jeder Beziehung ist Kommunikation. Und zwar konstruktive, gewaltfreie Kommunikation. Also rede mit deinen Lieben über die Erkrankung, was sie mit dir macht und was die Folgen davon sind. Vielleicht kannst du dich manchmal nicht bewegen, vielleicht hast du Phasen, in denen du nicht bei deiner Familie sein kannst, weil du in einer Klinik behandelt werden musst, vielleicht kannst du dich eine Zeit lang nicht um deine Kinder kümmern, weil dir der Antrieb fehlt … rede darüber. Wenn du dich schwer tust, Worte zu finden, bereite das Gespräch vor. Frag andere Betroffene und leihe dir ihre Worte aus. Besorge Bücher, die kindgerecht erklären, worunter du leidest. Finde Analogien und Methaphern, um deine Symptome für deine Lieblingsmenschen greifbar zu machen.
Ich weiß, es fällt oft schwer, aber rede über deine Erkrankung. Nur so kannst du sicherstellen, das du deine Beziehungen und die Psyche deiner Mitmenschen vor Schaden bewahrst. Denn eines ist sicher: Eine psychische Erkrankung ist nicht nur für die Erkrankten selbst schwer, sondern auch für deren Umfeld. Also mach es ihnen so leicht wie möglich – damit du am Ende echte Unterstützung statt verärgerter Kritik entgegengebracht bekommst.
Schade ich meinen Kindern nicht, wenn ich über meine Erkrankung rede?
Psychische Erkrankungen sind keine Panikmache, sondern ein Fakt. Sie existieren und so ziemlich jeder Mensch kommt im Laufe seines Lebens irgendwann dem Thema in Berührung – ob er nun selbst betroffen ist, oder jemand in seinem Umfeld. Also ist Wissen zu psychischen Erkrankungen für jeden Menschen wertvoll! Wenn Kinder ganz selbstverständlich damit großwerden, dass psychische Gesundheit nicht selbstverständlich ist, werden daraus am Ende empathischere Erwachsene, die schon früh gelernt haben, auf sich aufzupassen. Die ihre psychische Gesundheit ernst nehmen und vielleicht ganz nebenbei schon gute CopingStrategien aufgeschnappt haben, damit ihre Psyche gar nicht erst in Not gerät.
Fazit:
Das Wissen um deine Erkrankung kann das Leben deiner Familie sogar bereichern. Denn es gibt einen guten Grund, warum du dich so fühlst und verhältst. Du hast es dir nicht ausgesucht, es ist keine Charakterschwäche, kein schlechtes Benehmen und ganz sicher keine Faulheit. Das dürfen und sollen ruhig alle wissen!
Du hast durch dein Bewusstsein die Chance, deinen Kindern vorzuleben, wie man sich um seine psychische Gesundheit kümmert. Dass es okay ist, Hilfe anzunehmen und dass psychische Erkrankungen keine exotische Sache sind, sondern zum normalen Leben dazugehören. Nicht nur für dich, sondern auch für deine Familie und ganz viele andere Eltern, Kinder und sonstige Menschen auf der ganzen Welt.
Wenn du deine Erkrankung ernst nimmst, kann dich das sogar zu einem noch besseren Elternteil machen!
